Geschichte des politischen Denkens by Otfried Höffe

Geschichte des politischen Denkens by Otfried Höffe

Autor:Otfried Höffe
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Philosophie: Allgemeines, Nachschlagewerke
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2016-09-14T16:00:00+00:00


10.2 Leviathan – ein biblisches Ungeheuer

In der politischen Mythologie tauchen gern Tiere auf, die die Rolle überragender Mächte spielen. Gleichwohl muss man sich fragen, warum ein so rationaler, gegen Wortspiele und rhetorischen Überschwang höchst misstrauischer Denker wie Hobbes zum Namen des mächtigsten Tieres der Bibel, dem «Leviathan», greift. Sicher ist, dass er mit ihm in die – an Bildern, Symbolen und Allegorien überreiche – Geschichte des politischen Denkens das wirkungsgeschichtlich mächtigste Bild einbringt. Ohnehin breitet der Philosoph für seinen Zweck, die Leser zu überzeugen, trotz seiner Kritik an der Rhetorik ein reiches Arsenal von Bildern und Argumentationsfiguren (Topoi) aus. Für sein publizistisches Ziel, ein großes Publikum für sein Denken zu gewinnen, entfaltet Hobbes eine sprachgewaltige Eloquenz, die sich nicht selten zu Sätzen aphoristischer Prägnanz steigert.

Hobbes’ Fähigkeit, Gedanken durch Bilder auszudrücken, findet sich im Titelkupfer seines Leviathan, einem emblematischen Meisterwerk, wieder. Auf dessen oberer Hälfte erhebt sich hinter einer Stadt und hinter Bergen mit einigen Dörfern eine gigantische menschliche Gestalt, Zeichen des Staates, der nach Hobbes ein riesiger künstlicher Mensch ist. Blickt man genauer hin, so sieht man den Körper aus zahllosen kleinen Menschen zusammengesetzt. Dies ist ein Bild dafür, dass der Staat bzw. der Souverän Stellvertreter aller Bürger ist: Die Bürger autorisieren den Souverän, der fortan in ihrem Namen handelt.

Andererseits gehen die Bürger im allmächtigen Staat vollkommen auf. Weder haben sie eine außerstaatliche Existenz, noch können sie gegen den Souverän irgendwelche Rechte beanspruchen, außer dem Recht auf Schutz: Der Souverän hat ihr Überleben zu sichern. Das Gemeinwesen wird im König, dessen Körper repräsentiert: Der König ist das Volk. Die Titelfigur wäre modern, wenn man in ihr auch die Umkehrung sehen könnte, dass das Volk der König ist, indem sich die Bürger des Königs, sprich der Herrschaft, bemächtigen. Dagegen spricht, dass lediglich der Körper unterhalb des Kopfes, nicht auch der Kopf selbst aus kleinen Menschen zusammengesetzt ist.

Der gekrönte Herrscher – in den Gesichtszügen Hobbes oder König Karl II. ähnlich – trägt gemäß dem anglikanischen Staatskirchentum sowohl das Symbol weltlicher Macht, das Schwert, als auch den Bischofsstab, der den Herrscher als für religiöse Lehrmeinungen ebenfalls zuständig ausweist. Der König soll zwar nicht über die religiöse Wahrheit selbst entscheiden, wohl aber über deren öffentlich verbindliche Auslegung. Die Alternative, eine weltanschauliche Neutralität des Staates, zieht Hobbes nicht in Erwägung.

Die Friedlichkeit der abgebildeten Landschaft weist auf die Leitaufgabe der doppelten Macht, die Sorge für den Frieden, hin. Nicht weniger deutlich ist der Buchtitel. Leviathan, das Seeungeheuer aus dem biblischen Buch Hiob, symbolisiert die unüberwindliche Staatsgewalt. Ironischerweise fällt ihr Hobbes selbst zum Opfer: Weil er politische Ansprüche der Kirche ablehnt, soll er, als er in Paris weilt, auf Betreiben der Geistlichkeit durch die französische Justiz verfolgt werden. Dem entzieht er sich durch eine zweite, dieses Mal in hohem Maß beschwerliche Flucht. Einige Jahre nach seiner Rückkehr nach England (1652), nachdem inzwischen die Stuarts wieder an die Macht gekommen sind, wird Hobbes des Atheismus und der Häresie beschuldigt (1666), aber nicht verurteilt.

Der Philosoph stirbt im «biblischen Alter» von 91 Jahren. Trotz seiner polemischen Rhetorik, mit der er sich viele Feinde macht, hinterlässt er zahlreiche Freunde, die seinen Tod betrauern.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.